Warum tun wir, was wir tun? Für Geld? Das greift genauso kurz, als würde man sagen: Ich lebe, um zu atmen. Man fährt ja auch nicht Ski, um wieder vor dem Lift zu stehen.
Andersherum wird ein Schuh draus: Atmen ist extrem wichtig. Geld auch. Aber “um zu …” , nicht als Ziel. Denn wenn das Mittel zum Zweck in den Fokus rückt und selbst zum Zweck wird, verpasst man das Wesentliche. Zudem ist es auf Dauer auch super langweilig und demotivierend.
Worum geht's aber dann? Vor allem im Business?
“Purpose!” rufen jetzt viele. Aber das gefällt mir nicht. Ist längst zum Buzzword, zur Worthülse aus der Motivationstrickkiste der New-Work-Ideologen geworden. Und oftmals auch sehr, sehr egozentrisch. Nein, es geht nicht um MICH, MEINEN Purpose, MEINE Selbstverwirklichung. Es geht um “die da draußen”. Um den Kunden. Was will er/sie? Was bewegt mein Gegenüber? Welche Nöte, Wünsche, Sorgen, Probleme hat er/sie? Und was habe ich zu bieten, um sein/ihr Leben angenehmer, schöner, erfolgreicher, besser zu machen? “Customer centricity” könnte man sagen. Aber das klingt marketing-technokratisch.
Ich bevorzuge: Ehrlich interessiert. Aufmerksam. Empathisch. Zugewandt. Dienend. Sinnstiftend! Und da haben wir ihn dann doch wieder: den Purpose. Aber einen, der sich nicht um “Ich, mich, meiner, mir: Herr, segne diese vier.” dreht, sondern halt um mein Gegenüber. Wer darin dann spürt und erlebt, wie sein eigenes Leben einen positiven Unterschied im Leben des/der anderen macht, der ist zutiefst befriedigt.
Das ist für mich wahres Glück. Da braucht es dann auch kein “Life”, was mit “Work” auf der anderen Seite “gebalanced” werden muss. Denn beides findet gleichzeitig statt, quasi eine Work-Life-Melange. Übrigens der beste Drink gegen Burnout. Denn ich lebe nicht (nur) NACH, sondern auch WÄHREND der Arbeit. Und genieße in der Freizeit umso mehr den Blick auf die Früchte meines Schaffens.
Und dann schlägt das Paradoxon zu: Indem der Fokus weg vom Geld und hin zum Nutzenstiften wechselt, kommt das Geld von ganz allein. Ja, sogar mehr und schneller. Getreu dem Motto: Erfolg ist das, was folgt.
Das beste Beispiel ist Amazon, mit einer Bewertung von über 350 Milliarden US-Dollar das zweitwertvollstes Unternehmen der Welt (Stand Anfang 2022). Man kann von den Geschäftspraktiken und dem Umgang mit Mitarbeiter:innen (zurecht) wenig halten. Aber in einem sind sie radikal: im unbedingten Fokus auf die immer bessere Befriedigung der Kundenbedürfnisse. Dazu Amazon-Gründer Jeff Bezos: „Das Allerwichtigste ist, sich wie besessen auf den Kunden zu konzentrieren. Unser Ziel ist es, das kundenorientierteste Unternehmen der Welt zu sein.“ Und das leben sie. Leider um jeden Preis, ohne Rücksicht auf Verluste und freilich mit hyper-neoliberaler Gewinnmaximierungsabsicht.
Doch wie steht schon in der Bibel: “Das Gute behalte, das Schlechte verwirf.” Das Gute, den Fokus auf die Kundenbedürfnisse, den sollten wir behalten. Das Schlechte, meines Erachtens das verengte und längst überholte Verständnis von “Gewinn” und “Kunden”, nicht. Gewinn ist nicht nur eine Zahl unter der Bottom Line. Oder der Shareholder Value. Gewinn muss viel weitreichender definiert werden.
Gewinn ist gleichermaßen aus der Gegenübersicht zu bewerten: Welchen Gewinn hat mein Umfeld davon? Meine Lieferanten, Partner, meine Arbeitnehmer:innen, unser Planet? Ebenso sind “Kunden” nicht nur diejenigen, die meine Produkte und Dienstleistungen kaufen, sondern eben auch alle und alles, was durch mein Tun direkt oder indirekt beeinflusst wird. Diese Perspektive, das Einkalkulieren all dieser Faktoren in meine Gewinnberechnung, bildet für mich die “Triple Bottom Line”: Was kommt unter'm Strich für alle dabei raus? Was ist die Gesamtenergiebilanz?
Das wirft Fragen auf, und Herausforderungen für ein neues unternehmerisches Mindset. Zum Beispiel:
Wie gestalte ich ein kulturelles und strukturelles Biotop, das eine solche kundenzentrierte Perspektive ermöglicht, erhält und aktiv fördert?
Wie fördere ich eigenverantwortliches, unternehmerisches Denken und Handeln jeder/s Einzelnen?
Was ist die Wertepositionierung unseres Unternehmens? Wofür stehen wir? Und – noch wichtiger – wo sind wir raus?
Nach welchen Kriterien bewerten wir, ob potenzielle Aufträge zu unserer “Triple Bottom Line” passen?
Und vor allem: Sind wir bereit, ich meine ehrlich bereit, “Nein, danke!” zu sagen, wenn ein lukrativer Auftrag oder auch ein:e High Performer:in winkt, der/die aber nicht ins Werte- bzw. kulturelle Set-up unseres Unternehmens passt?
Anders: Bin ich bereit, den Preis für Haltung zu bezahlen? “Haltung muss man sich erst leisten können.”, höre ich immer wieder. Well, I beg to differ. Man muss es sich leisten können und wollen, KEINE Haltung zu haben. Gestern schon. Heute noch mehr. Und morgen erst recht. Nicht nur, weil die Umwelt uns die Konsequenzen unseres haltlosen Tuns immer stärker spüren lässt. Auch, weil Arbeitnehmer:innen, insbesondere die jüngeren und hochqualifizierten Generationen, nicht mehr jeden Mist mitmachen wollen. Und zudem noch aus einer sich zunehmend füllenden Arbeitgeber-Speisekarte wählen können.
Ebenso mit Blick auf Kunden: Die Rechnung, man müsse sich erst seine Sporen beim Kunden verdienen – oftmals gleichzusetzen mit: “Ist zwar ‘n scheiß Projekt und wir müssen mit’m Preis runter … aber die werden dann schon merken, was sie an uns haben. Und dann zeigen wir Kante.” geht so gut wie nie auf. Bringt vielleicht kurzfristig Umsatz, Marge meistens weniger.
Viel verheerender sind aber die langfristigen Folgen für Team und Unternehmen: Denn solche Jobs sind Motivationskiller: Keiner hat Spaß an der Sache, viel Druck und Controlling-Peitsche, kein Identifikationsgefühl, zero Leidenschaft; weil “Purpose” fehlt:
“Wofür tun wir das hier eigentlich? Wofür stehen wir denn?” Und so fängt’s dann schleichend an: das Leben, um zu Atmen. Eine Teufelsspirale. Und auch die Bekehrung des Kunden zum Besseren nach dem ersten Vertrauensprojekt bleibt meist aus.
Denn erstens will der Kunde verständlicherweise ja nicht auf einmal im zweiten Projekt aus lauter Begeisterung mehr Geld bezahlen, Dankbarkeit hin oder her. Auch ihm sitzen ja Wettbewerber und Shareholder im Nacken.
Zweitens sinkt die wahrgenommene Kompetenz, die Achtung des Kunden vor einem selbst – weil man sich verkauft hat, sich nicht treu war, die Augenhöhe verließ. Und das spürt das Gegenüber, zumindest unterbewusst.
Haltung aber macht attraktiv, souverän, weckt Begehrlichkeiten, inspiriert und lädt das Gegenüber auf eine gemeinsame Reise für eine größere Sache ein. Kunden wie Mitarbeiter:innen. Klar, Haltung heißt auch, man verliert vielleicht den ein oder anderen Auftrag. Dafür aber gewinnt man … Purpose. Sinn. Motivation. Wir-Gefühl. Attraktivität. Leidenschaft. Ein klares Profil. Und den Fokus auf den Nutzen des Gegenübers.
Haltung ist somit der größte Schutz vor dem “Leben, um zu atmen”. Und weil diese oben genannten Faktoren eine enorm inspirative Wirkung und Strahlkraft haben, greift wieder unser Paradoxon: Sie ziehen High Performer:innen und Kunden an. Vielleicht nicht mehr so viele. Dafür andere. Bessere. Besser in dem Sinne, dass diese die gleiche DNA wie wir haben, perfekt zu uns passen. Und dadurch auch glücklicher sind, gern bleiben. Und gern gutes Geld für unsere guten Leistungen bei uns platzieren. Weil wir es in ihren Augen WERT sind.
"The Law of Attraction" nennen das die Spiritisten. “Gleich und Gleich gesellt sich gern” sagt der Volksmund. Die Neurowissenschaft spricht von Spiegelneuronen. However: Es wirkt!
Und dann beginnt das Ganze, Spaß zu machen.
Für alle Beteiligten.
Auf jeder Linie.
Triple Bottom Line.
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